III. Zur Geschichte der kulturellen und sozialen
Ausformungen
2. Feste, Sitten und Bräuche in jährlicher Wiederkehr und im Laufe des Lebens
Die alten Feste, Sitten und Bräuche unseres Dorfes und unsere näheren ostfälischen Heimat sind insgesamt wohl nur vor dem
Hintergrund der beschriebenen landschaftlichen, ethnischen und vor allem wirtschaftlichen Grundlagen zu verstehen, aus denen sie hervorgegangen sind. In dem
Maße, wie durch die revolutionären Umwälzungen und Verschiebungen im Industriestaat des 20. Jahrhunderts die landwirtschaftlichen Grundlagen für die Mehrheit
der Einwohnen ihre unmittelbare Bedeutung verloren, so musste in gleicher Weise das vielen Generationen lieb und Wert gewordene, bäuerlich geprägte Brauchtum
in der Gegenwart leider seinen Stellenwert im Leben der Dorfbewohnen einbüßen. Hand in Hand mit dem landwirtschaftlichen Rückgang geht die Ablösung unserer
früheren Feste, Sitten und Bräuche durch neue, andere Einrichtungen zur Gestaltung gemeinschaftlicher Erholung und zur Herstellung und Regelung menschlicher
Beziehungen. Dieses muß heute von uns jenseits allen Bedauerns als zwangsläufige, unvermeidliche Folge anerkannt werden. Dort, wo diese Folgen uns bei unserer
aktuellen Lebensgestaltung als Herausforderung entgegentreten, sollten wir uns ihnen ohne wenn und aber mit allen Kräften stellen.
Besonders die
hitzige Entwicklung der letzten vier Jahrzehnte hat das sich auf alle dörfliche Lebensbereiche erstreckende, vielfältige bäuerliche Brauchtum bis
auf wenige Überbleibsel dahinschwinden lassen. Die hier folgende kleine Auslese kann den in dieser Hinsicht unserem Dorf unwiederbringlich verlorengegangenen
Reichtum nur erahnen lassen..
Sieht man einmal von den heute gelegentlich noch praktizierten Streichen der Dorjugend ab, die sich in Qualität und
Anliegen auch schon ihren ursprünglichen mythologischen Zusammenhängen entfernt haben, so hält eigentlich nur noch der uralte, auf heidnisch-germanische Mythen
zurückführende Brauch des Osterfeuer-Abbrennens einsam die Stellung in unserer Gemeinde. Schon seit 1953 wird das sonst allseits beliebte Fahnenjagen hier
nicht mehr abgehalten. Von dieser Zeit kündet noch die schon recht verwitterte hölzerne Fahne an der Hofseite des Hauses Ass. Nr. 87 . Eine andere ziert noch
die Wohnhauswand des Hofes Ass. Nr. 60 . Beim Fahnenjagen hing von einer mit Laub und Fahnen geschmückten Ehrenpforte ein Kranz herab, der von dem im Galopp
unter der Pforte hindurchreitenden Festteilnehmer mit der Reitpeitsche herabgestochen werden musste. Eine hölzerne Fahne wurde dem Gewinner als Siegeszeichen
an seiner Hauswand befestigt.
Auch das Sylvestersingen ist seit Anfang der 60er Jahre von den Kindern und Jugendlichen des Dorfes nicht mehr fortgeführt
worden. Sicher ist ihnen dieses nicht anzulasten, sondern manchmal, wie in Erfahrung zu bringen war, ihren Eltern, die nun aus dem Blickwinkel einer neuen
Wohlstandsgesellschaft dieses Treiben für eine diskriminierende Bettelei hielten. Die Kinder gingen damals von Haus zu Haus und überbrachten den Dorfbewohnern
in ein Lied gefasst singend die besten Neujahrswünsche: Niet jär, pennig jär. Gewet mik en betjen. En pennig is tau wenig. En groschen is mek recht. En daler
wörre ok nich slecht. Lät t mich nich so lange stan..Op dä kolen steine fraiset mine beine. Daraufhin gab es etwas Geld oder Leckereien. Gab es nichts, oder
fiel die Gabe zu bescheiden aus, so gaben die Kinder ihren Unmut mit folgendem Liedchen kund: Ik wünsche jüch en schlechtet niet jar.Hundertdüsend lüse
op einen har. En kop vull schörwe en ars vull wörme.
Das sogenannte Bullenstoßen war eine beliebte Frühlingsfestlichkeit, die schon früh wegen der
Auflösung der Gemeindewiesen während der Separation ein jähes Ende fand. Dabei wurde ein praktischer Zweck verfolgt. Bevor man die beiden Gemeindebullen
gemeinsam mit den Kühen den Sommer über auf die Gemeindewiesen trieb, ließ man sie im Kampf um die spätere Vorherrschaft rivalisierend
aufeinandertreffen. Am Ende war die Vorherrschaft des einen über den anderen ger- und damit der Frieden auf der Weide für dieses Jahr sichergestellt. Wie bei
einem heutigen Stierkampf fanden sch dazu meistens auf den öffentlichen Pfingstangern der Dörfer viele Leute ein, stachelten die Bullen zum Kampf an und
favorisierten je nach Einschätzungsvermögen einen der beiden.
In der Nacht zu Pfingsten stellten die jungen Bengels bei uns im Dorfe den von ihnen
angebeteten Mädchen einen möglichst großen Maibaum vor die Tür. Unbeliebten oder untreuen Mädchen stellte man auch gelegentlich Strohpuppen mit Phallusgebilden
von sehr unterschiedlicher Originalität auf den Hof. Manchmal wurden statt dessen auch Häcksel und Dorngestrüpp vor die Türen geworfen. Sogenannten
angebrannten, d.h. deflorierten Mädchen häufte man Obstkerne vor der Türe auf.
Ungeachtet der großen Mühe und der vielen Arbeit war die Erntezeit
hier noch bis nach dem 2. Weltkrieg eine Festzeit. Die Frauen und Männer wurden auf den Feldern und beim Dreschen auf den Höfen reichlicher als sonst mit Essen
und Getränken versorgt. Zum Schluß wurde der letzte Erntewagen mit einer Erntekrone darauf zurück zum Hof gefahren.
Auch das im Haus stattfindende
Schweineschlachten geriet ein jedes Mal zum Schlachtefest. Dabei gab es allerlei Späße: Jemandem wurde in einem günstigen Augenblick unbemerkt der
Schweineschwanz vin hinten angeheftet. Neugierige Kinder schickte man fort, um einen Wostebörer oder anderes nicht existierende Gerät zu holen. Natürlich kamen
auch immer wieder einige, um sich etwas vom Schwein zu erbetteln. Dafür hielt man Sprüche wie folgenden bereit:
Ik hebbe ehört ji het eslacht Un mik
mit ne lüttje wost bedacht Eine von dä fetten, Dat sall dä slachter nich wetten. Eine von dä dicken, Dä steck ik mik in dä ficke Eine von dä
dünnen, Dä wickl`ik in en plünnen.
Wurde jemand im letzten Jahrhundert durch Kauf oder Erbschaft neues Mitglied in der Forstinteressentenschaft
so musste er4 sich vorher in einer Versammlung der Interessentschaftmitglieder einer sogenannten Ofenprobe unterziehen. Vor dem Ofen knieend hatte er
folgende Worte zu sprechen: „Leiwe owen, ik bäe dik an, hilp mik, dat ik krupen kann!“ Wenn der Neue dann, so gut es ging, unter dem Ofen hindurchkroch,
erhielt er mit einem dünnen Holzbrett, dem sogenannten kawelbräe leichte Schläge auf das Hinterteil. Waren die alten Kachel- oder Lehmgrundöfen zu klein oder
bereits zu baufällig, mußte er unter einem damals noch in fast jedem Hause vorhandenen Klappstock (Webstuhl) hindurchkriechen und dabei flehen :“Hilp
mik, klappstock, beste fründ, dat se mik nich klappen künnt!“ War dies geschafft, wurde er auf einen Sägebock gesetzt und unter Jubelgeschrei um die
Festtafel getragen: „Hei is dorch, wenn dä ars ok brennt, vivat hoch dä interessent!“
Beim Heiraten gab gemäß den Regeln einer eigenwilligen
bäuerlichen Moral viel zu beachten. So z.B.: Man kann in einen dage mer frien as sin lewedag verdeinen. Abgewiesene Freier het sik en korf erhalt. Eine ihnen
daraufhin aufs Dach gesetzte Kiepe machte diesen Misserfolg für alle sichtbar.
Noch nach 1945 wurden in Bornum die Beerdigungen des Verstorbenen vom
Hause seiner verbliebenen Angehörigen aus vorgenommen. In schwarze Decken gehüllte Pferde mit Scheuklappen zogen den ebenfalls schwarzen Leichenwagen mit dem
Verstorbenen in seinem Sarg darauf. Dahinter folgte tiefschwarz gekleidet, gemäßigten Schrittes ein gewöhnlich recht großer Trauerzug. – Ein ebenso
beeindruckender wie auch bedrückender Anblick. Damals mehr denn je hoch angeschrieben war der Leichenschmaus zu dem sich die Leidtragenden nach dem Begräbnis
im Wirtshaus zusammenfanden. Hier begann dann eine Zecherei, die man dat fell versüpen nannte.
Einer alten Gewohnheit folgend erhielten die meisten
Bewohner unseres Dorfes zur besseren Unterscheidung neben ihrem Vor- und Familiennamen von ihren Zeitgenossen noch einen unverwechselbaren Bei- oder Spitznamen
verpasst, der oft noch lange nach dem Tode seiner Träger im Volksmund nun losgelöst von der Person als Bezeichnung für einen bestimmten Hof verwendet
wurde.
Wie sollte man sich z.B. auch sonst in Bornum unter den hier seit Jahrhunderten lebenden Familien Buchheister zurechtfinden? So gab und gibt es:
Opa Scheiten, Jochens, Jungferntröster, Eselkrischan, Wilhelm Riekert, Krischan Riekert, dä Innehmer, Richard Skat, dä Räuber, Tünnes, Erich Breit, dä Muhkau,
Sternkieker, Fritze Busch, Martins, Knust, Otto Türke, Locken, Alwin Türke, Männe Spack, Heinrich Nöhl und andere.
Weiter kannte das Dorf bei den Beeses
und den Beses: Ackermann oder Sölter, Kasper, Queken.
Und da sind noch viele Einzelnahmen: Dä Slappe, Bonchen Meyer, Hans Huckebein, Brillen-Flügel,
Pamper, Smalchen, Putzer, Nipper, dä Witte, Knarge, Pilo, Stänchen, Tewe, Schuckele und viele andere mehr.
Quelle: Festschrift 1135 - 1985 Bornum am Elm
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