IV. Versuch einer zukunftsorientierten Nachbetrachtung
Ziel und Anspruch des Verfassers ist es sicherlich nicht
gewesen, der Gemeinde Bornum/Elm zu ihrem 850jährigen Jubiläum eine nach Möglichkeit lückenlose Chronik ihrer Ortsgeschichte zu repräsentieren. Das wesentliche
Anliegen dieser geschichtlichen Rückschau bestand vielmehr darin, aus dem noch überaus reichen Fundus stattlicher, städtischer, kirchlicher und privater
Archive schwerpunktmäßig Themengebiete herauszulösen, die geeignet sind, den gegenwärtigen Lebenszusammenhang in unserem Dorf mit zu erkennen und vielleicht
auch mit bewältigen zu helfen. Trotz dieser selbst auferlegten Beschränkung ist vieles aus der Geschichte unseres Heimatortes zur Sprache gekommen. Manchmal,
wie sich denken lässt, besonders für Neubürger aber sicher auch für Alteingesessene völlig Neues.
Das meiste ruht jedoch nach wie vor auf dem dunklen
Grunde der Geschichte unseres Heimatortes Bornum. Ein langer Spaziergang durch die Geschichte des Ortes liegt am Ende hinter dem Leser dieser geschichtlichen
Rückschau. Keine Fahrt ins Blaue, bloß so zum kurzweiligen Vergnügen. Nein, dieser Spaziergang war sicherlich streckenweise anstrengend und vielleicht auch für
den einen oder anderen unbequem, so dass er vielleicht schon beim oder spätestens nach dem Lesen allein mit sich zu Rate gehen oder gar selbst über sich zu
Gericht sitzen musste. Man möchte dem Verfasser dies aber doch bitte nachsehen, denn um mit den Worten von Wilhelm Busch zu sprechen: „Nichts ist
erquickender zu Zeiten als goldene Rücksichtslosigkeiten.“
Unser Dorf war noch bis in die Mitte des 19. Jh. ein weitgehend in sich geschlossen
arbeitender Organismus, der im Gegensatz zur Stadt weitgehend agrarisch strukturiert war. Dieser alles Leben im Orte umfassender Begriff bezeichnet das durch
die Jahrhunderte markanteste und wesentlichste Merkmal dieser ehemals ausschließlich bäuerlichen Siedlungsgemeinschaft. Ein vorzügliches Messinstrument, das
mit seinen verschiedenen Kriterien als Maßeinheiten uns bestens über die heutige Situation in unserer Heimatgemeinde aufklären kann. Das Wohnen, Arbeiten und
das Versorgen mit dem Lebensnotwendigsten fand ebenso wie das gemeinschaftliche Erholen, Verkehren und Bilden im Dorfe statt. Diese sich wechselseitig
bedingenden und erzeugenden Funktionen des Lebens stehen hier heute weitgehend isoliert voneinander und somit oft beziehungslos nebeneinander, was zwar den
sozialen Zusammenhalt in der Gemeinde nicht gänzlich aufgelöst, aber doch zumindest stark geschwächt hat. Gemessen an dem, was Bornum / Elm in dieser Hinsicht
vornehmlich in den letzten vier Jahrzehnten zu verkraften hatte, ist es schon mehr als erstaunlich, daß dies noch so ist. Denken wir bitte dabei auch an den
nunmehr fast völligen Verlust unserer niederdeutschen Sprache, die im Zusammenhang des dörflichen Zusammenlebens als soziales und kulturelles Bindeglied
einen nicht zu unterschätzenden integrativen Stellenwert besaß. Weiterhin ist schon seit dem letzten Jahrhundert ein fortschreitender Verlust der
ethnischen Homogenität mit Sicherheit nicht zu beklagen ( die hervorragende Eingliederung der nach 1945 zugewanderten Heimatvertriebenen in die dörfliche
Gemeinschaft bezeugt dies), muß aber dennoch als gravierende Veränderung hier mit festgehalten werden.
Wir müssen uns darüber klar werden, es kann nicht
wieder so werden wie früher. Machen wir uns bewusst: Unser Heimatort ist im strengen Sinne kein Dorf mehr, bloß noch eine Landgemeinde mit dörflichem
Charakter. Aber auch so ist sie noch mit vielen Vorteilen ausgestattet, die es nun mehr den je zu pflegen gilt und die im Vergleich zur Stadt geeignet sind,
eine bessere Qualität des menschlichen Zusammenlebens zu erzeugen. Es wäre falsch, hypnotisiert, wie das Kaninchen auf die Schlange, auf unsere eigene
Vergangenheit zu schauen. Alles war einmal. Wo alte Strukturen in veränderten Lebensverhältnissen übernommen werden können, soll dies geschehen. Wo dies
nicht möglich ist, müssen sie abgeschafft und durch neue, auf nichts als auf den Menschen zugeschnittene Formen ersetzt werden. Die Trauer über das
Verlorene darf nicht zur Lähmung und damit zu einer Bankrotterklärung unseres eigenen schöpferischen Potentials führen. Hier sind, um nur ein Beispiel zu
nennen, insbesondere die heutigen Architekten mit einer dringend erforderlichen, selbstbewussten und gleichwohl einfühlsamen Gegenwarts- und
Zukunftsarchitektur gefordert. Die alten Griechen kannten in diesem Zusammenhang die Begriffe der „Pietas“ und der Virtus“, wo das
überkommene , jedoch lange bewährte Alte seine höchste Anerkennung und Würdigung in der selbstbewussten Schöpfung des gleichrangigen Neuen findet.
Wilhelm Raabe, kein Heimatdichter, aber ein dennoch in seinem Leben und Werk eng mit dem Braunschweiger Land verbundener Literat wußte einmal auf die
Klage eines Mitbürgers, man hätte unlängst ein altes Haus von 1674 abgerissen, zu antworten: „Schimpfen sie doch über den, der seinerzeit das Haus von 1522
abreißen ließ, um das von 1674 errichten zu lassen!“. Der Verfasser dieser Rückschau entstammt den ältesten Bauerngeschlechtern der Gemeinde Bornum /
Elm. Daraus heute noch irgend ein Privileg abzuleiten, wäre sicherlich vermessen, es sei denn das Privileg einer besonderen Verantwortung für diese Gemeinde
und die künftig in ihr lebenden Generationen. Daß er in dieser geschichtlichen Rückschau ausgiebig davon Gebrauch machte, kann ihm hoffentlich nachgesehen
werden. Die von ihm vorgenommenen Wertungen sollten nicht unbedingt als unumstößliche Tatsachenbehauptungen betrachtet werden, sondern vielmehr als ein bunter
Luftballon voller Gedanken, den er hoffentlich allen zur Freude zum 850jährigen Jubiläum seiner Heimatgemeinde Bornum / Elm aufsteigen lassen möchte und
der vielleicht andere im Orte dazu ermutigen kann, noch viele folgen zu lassen.
Wenn wi innen September den gebortsdag von use gemeinde fiern und nich
öhr fell versupen wüllt, so geiht dat nich von sümst, sonnern wi möt us da met nahdenken behülpen !
Von hier aus ist in diesem Zusammenhang nichts
weiter zurückzunehmen, abzuschwächen oder noch hinzuzufügen.
Gerhard Buchheister Ein Bormschen ut Lutter
Quelle: Festschrift 1135 –
1985 Bornum am Elm
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