Zeugen und Zeugnisse vergangener Baukulturen
Siedlungsgeschichtlich betrachtet ist uns Bornum / Elm mit seiner haufenförmigen geschlossenen Dorfanlage und seiner
dreigeteilten, als „thüringisch“ bezeichneten Hofanlage im Kern bis in unsere Gegenwart hinein als mittelalterliches Dorf erhalten
geblieben.
In den Kriegswirren des Dreißigjährigen Krieges ist das Dorf, wie bereits berichtet wurde, stark zerstört worden. Nicht zuletzt deshalb
tritt es uns in baugeschichtlicher Hinsicht mit seiner späteren Bebauung heute nicht mehr als mittelalterliches Dorf entgegen.
Nur der untere Teil
des heutigen Kirchturmes und der romanische Wehr- und Wohnturm haben als einzige Gebäude aus der Zeit vor dem großen Religionskriege die lange
und wechselvolle Geschichte in diesem Ort überdauert.
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Abgesehen
von untergeordneten eingeschossigen Stallgebäuden hat es gewöhnlich zwei Stockwerke. Im Gegensatz zur Stadt war man nicht gezwungen, weiter in die
Höhe zu bauen. Das Dorf hatte keine Wallanlagen und konnte sich daher jederzeit nach Bedarf ausweiten.
Nach der Bauart zu urteilen ist das
ehemalige Schweinehirten- und Nachtwächterhaus Ass. Nr. 10 das wohl älteste Fachwerkgebäude hier im Ort mit den frühesten Entwicklungsformen
dieses thüringisch-oberdeutschen Haustyps.
Die über beide Stockwerke bis unter den Dachüberstand durchgehenden Ständer sind charakteristisch
für die Bauweise dieser Zeit Die tragenden Deckenbalken sind hier in der ersten Geschoßdecke mit Verzapfungen an der Innenseite der Ständer
eingelassen, wodurch ein nach außen hin völlig bündiges Haus entsteht.
Dabei wurden jedoch die von den Decken ausgehenden Schub- und
Biegezugkräfte weitgehend unvermittelt auf die Außenwände, d.h. insbesondere auf die durchlaufenden Ständer abgegeben, die sich so erheblich
durchbogen, teilweise die eingelassenen Deckenbalken aus ihren Verzapfungen rutschen ließen und im ungünstigsten Falle sogar brachen.
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Das Wohnhaus des ehemaligen Halbspännerhofes Ass Nr. 65 stammt vermutlich aus der frühen Hälfte des 17. Jh. Und lässt
in vielen Merkmalen die Bauweise dieser Zeit erkennen. Besonders gerät diesem Haus das zu sogenannten Andreaskreuzen angeordnete
aussteifende Strebengefüge zur Zierde.
Bemerkenswert ist der kunstvoll mit Schnitzereien versehene Schwellbalken am Wohnhaus
des Hofes Ass Nr. 28. Dieser Würfelfries oder auch Zahnstangenschnitt genannte Hausschmuck ist im gesamten Kreise Helmstedt nur noch
selten anzutreffen.
Wie das Haus Ass. Nr. 28 stammt das mittlererweile nach außen abgebrochene Wohngebäude vom Hof Ass. Nr. 19
aus dem späten 17. Jahrhundert. Die zu spitzwinkligen Dreiecken angelegten Fußangelnverleihen dem Hause nicht nur ein wohlgefälliges
Aussehen sondern auch Standhaftigkeit gegen Wind und Wetter. Dieser hier vorgestellte Baustil macht aber auch innerhalb seiner
Grundkonzeption von seinen frühesten Anfängen über seine Blütezeit bis zu seinem schrittweisen Verschwinden um die Wende zum 19. Jahrhundert
eine formenreiche, kontinuierliche Entwicklung durch.
Zum Beispiel trat an die Stelle des ursprünglicheren einfachen
Satteldaches (vgl. Ass. Nr. 10) das Vollwalmdach (Vgl. Ass. Nr. 65), welches schließlich durch das für unsere Klimazone günstigere
Krüppelwalmdach abgelöst wurde. Der lange Zeit wüst liegende und in den letzten Jahren schließlich abgebrochene Hof Ass. Nr. 14 aus der
Mitte des 18. Jh. deutet bereits mit einer abgeschwächten Gestaltung seiner typischen Merkmale die Endphase dieser an
Formen überreichen Bauepoche an.
Die Balkenköpfe treten stumpf aus der Wand heraus. Die Rahmschwelle ist bis auf eine schlichte
kurze Inschrift ohne jedes Schnitzwerk. Die für Füllhölzer vorgesehenen Zwischenräume sind einfach ausgemauert und mit Lehm verstrichen. Im
Vergleich zu älteren Häusern dieser Epoche verfügt es schon über ein Krüppelwalmdach. Der Form der älteren thüringischen Hofanlage
entsprechend folgen gleich links neben der Haustür die Stallungen, zwar noch unter einem Dach aber im Gegensatz zum sächsischen Haus scharf
voneinander getrennt.
Die Scheune steht hier bereits abgelöst vom übrigen Gebäudeverbande frei gegenüber dem Wohnhaus. Der hier im
Ausschnitt wiedergegebene Ostgiebel dieses ehemals wüsten Hofes ermöglicht einen recht guten Einblick in die Struktur des Fachwerks.
Handgebeilte Buchenstäbe wurden senkrecht in Kerblinien zwischen die Riegel getrieben. Anschließend wurde in die Gefache quer zu den
Buchenscheiten Weide geflochten, die einen mehrschichtigen Lehmbewurf und einen abschließenden Lehmverstrich erhielt.
Einen markanten
und recht eigenwilligen Vertreter dieser bauweise stellt der ehemalige, wohl im frühen 18. Jh. Errichtete Brinksitzerhof Ass. Nr. 71 dar. Er
war das letzte im nördlichen Elmvorland mit Stroh gedeckte thüringisch-oberdeutsche Bauernhaus. Die Nordostecke des Hauses ist im
Erdgeschoß in Elmbruchstein aufgeführt. Es muß um 1951 ein Ziegeldach bekommen haben. Das Hau wurde, gemessen an den zur Zeit seiner
Erbauung üblichen Schmuckformen, schon recht schlicht eingerichtet. So fehlt z.B. das damals typische auskragende Obergeschoß mit
entsprechender Rahmschwelle. Andererseits besaß es in seinem ursprünglichen Zustande bereits ein Krüppelwalmdach.
Ein besonders
schönes Beispiel eines einzügigen thüringischen Gebäudeverbandes mit isoliert stehender Scheune (vgl. Ass. Nr. 14) stellt das heute noch in
Bornum vorhandene und erfreulich gut hergerichtete Gebäudeensemble auf Hof Ass. Nr. 25 dar. Aus bauphysikalischen Gründen und zur
Minderung der Feuergefahr ist im Erdgeschoß die gesamte nördliche Außenwand einschließlich der zur Nordostecke hin gelegenen Küche
in Elmbruchstein aufgeführt.
Häuser, deren Holzkonstruktion auch auf der Nordseite bis zum Boden herunterreichte, hatten oftmals
wegen mangelnden Sonneneinfalls und deshalb fortwährender Nässe in der Bodenschwelle frühzeitige Bauschäden aufzuweisen. Das leider nur noch
im Ostgiebel erhaltene Bauernhaus Ass. Nr. 17 entspricht mit Ausnahme der massiven Nordwand in seinem Konstruktionsplan sonst
völlig dem von Hof Ass. Nr. 25. Anfang des 19. Jh. Beginnt ein neuer und wohl auch gleich der letzte Abschnitt i der langen Geschichte des
thüringischen Fachwerkhauses. Dem neuen Haustyp dieser Zeit liegt ein Konstruktionsplan zugrunde, der mehr funktionalen insbesondere
statischen Überlegungen folgend, sich durch zunehmendere Schlichtheit, Einfachheit und schließlich völlige Schmucklosigkeit
auszeichnet.
Der ursprünglich auskragende Schwellbalken tritt bündig in das Fachwerkgefüge zurück. Eine kunsthandwerkliche
Ausschmückung des Gebäudes beschränkt sich gewöhnlich auf Hausinschriften. Ein Hang zur gänzlich massiven, wenn auch vorerst noch
anteilig massiven Bauweise kündigt sich an. Eine weiträumigere Unterkellerung wird angestrebt. Streben finden sich nur noch
dort, wo sie zur Aussteifung unbedingt erforderlich sind. Besonders in dieser Zeit entwickelt sich aber noch in unserem Dorf wie
anderswo der sogenannte thüringische Dreiseithof mit einer meistens zur Straße hin offenen Hofseite. Der alte einzügige
Gebäudeverband mit freistehender Scheune kommt in der Form dieser Hofanlage zur Auflösung in drei abgetrennte, u-förmig zueinander
stehende Gebäude: Wohnhaus, Scheune und Stall.
Heute noch in dieser Form in Bornum vorhandene Hofanlagen sind: Hof Ass. Nr. 5, Hof Ass.
Nr. 47, Ass. Nr. 48, Ass. Nr. 65, Ass. Nr. 75. Ein ähnlich wie Ass. Nr. 5 klassischer Dreiseithof war der bereits um 1968 teilweise
abgebrochene Hof Ass. Nr. 22 .
Quelle: Festschrift 1135 – 1985 Bornum am Elm
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