In
seinem Abschnitt des Buches „Und wir hörten seine Stimme – ein Jahr in der Propstei Königslutter“ erklärt Pfarrer Sledzianowski, warum in Bornum
der Kirchturm auf der „falschen“ Seite der Kirche steht. Hier der Artikel:
1. Sonntag nach Epiphanias
Ich will singen von der Gnade des
Herrn ewiglich und seine Treue verkünden mit meinem Munde für und für, denn ich sage: für ewig steht die Gnade fest, du gibst deiner Treue sichern Grund
im Himmel. Psalm 89, 2-3
Wer in Bornum sein Kind taufen lassen will, muss auch das Wasser dafür
selber mitbringen. In Bornum steht die Kirche nämlich verkehrt herum. Rätsel über Rätsel ? Gar nicht. Das eine hat mit dem anderen zu tun.
Der
Ortsname verrät schon etwas von der Lösung. „Born“ ist ja ein altertümliches Wort für „Quelle“. Hier unten am Elmrand passiert es immer wieder,
dass unvermutet mitten im Dorf eine Quelle aufspringt, wo vorher noch keine war. Die kann nach ein paar Tagen oder ein paar Monaten schon wieder
versiegen – oder eben auch nicht. Jedenfalls kann es Probleme geben.
So geschehen auch gegen Ende des 18. Jahrhunderts, und zwar genau unter
dem Kirchenschiff. Wenn unter einem großen schweren Gebäude der Untergrund nicht mehr genügend Festigkeit besitzt, dann gibt es Risse in den Wänden, und
irgendwann droht Einsturzgefahr. Man sah sich genötigt, das Kirchenschiff abzutragen.
Auf der anderen Seite des Turmes – auf der „falschen“
Seite: mit dem Altar im Westen statt üblicherweise im Osten – wurde ein neues aufgebaut, und der Geist der Zeit hat mitgebaut.
Es war das
Zeitalter der Aufklärung. Die Philosophie hatte die menschliche Vernunft als allgemein gültigen Wertmaßstab entdeckt. Das Licht des Geistes sollte alles
durchdringen. Also baute man einen weiten, hohen Kirchenraum mit großen Fenstern, eine helle Stätte des Lehrens, in der sich auch der Intellekt Gott
zuwenden kann. Du sollst den Herrn, deinen Gott, mit allen deinen Kräften lieben: mit Gefühl und mit Verstand. Gott ist nicht nur König der Herzen. Er
residiert auch im Kopf.
Entsprechend hat man den Innenraum gestaltet. Keine Schnörkel, sondern klare Linien. Keine Bilder, sondern großflächig an den
Wänden ringsherum eine einzigartige Farbe. Aber die wirkt, je nach Einfall des Lichts, wie Weiß, wie Grau, wie Rot, sogar wie Gold.
Eine der vielen Quellen, denen wir diesen Kirchenbau verdanken, tritt an der Westseite aus der Grundstücksmauer
und fließt in einen hölzernen Trog. Was läge näher, als von dieser Kirchenquelle das Taufwasser holen zu lassen? Dass Gott Quelle des Lebens ist, weiß
dann nicht nur der Kopf, sondern man sieht es sogar.
Lehre mich tun nach deinem Wohlgefallen, denn Du bist mein Gott. Dein guter Geist
führe mich auf ebner Bahn.
Psalm 143,10
Bernd Sledzianowski
Quelle: Und wir hörten seine Stimme – Ein Jahr in der Probstei
Königslutter Herausgeber: Probstei Königslutter ISBN 3-00-015048-X
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